Wikinger
1. Wikinger
Bezeichnung für die Nordeuropäer – Dänen, Schweden, Norweger –, die
zwischen dem 8. und dem 11. Jahrhundert von Skandinavien aus als Kaufleute,
Krieger und Eroberer nach West, Mittel- und Südeuropa und Russland kamen. Der
Ursprung des Wortes Wikinger ist umstritten; es kann von dem altnorwegischen vík
(Bucht) stammen oder von dem lateinischen vicus (befestigter
Handelsplatz). Die „Wikingerzeit” galt lange als eine Epoche wilden
Piratentums, während der die Freibeuter aus den Nordländern mit ihren
Wikingerschiffen an praktisch allen europäischen Küsten landeten und sich
durch das zivilisierte Europa mordeten und plünderten. Diese stark vereinfachte
Sicht wurde inzwischen revidiert; heute betont die Wissenschaft die
Errungenschaften der Wikingerzeit in den Bereichen Kunst, Handwerk, Schiffbau
und Schifffahrt, Entdeckungsreisen und Handel. Die Wikinger waren nicht nur
kriegerische Abenteurer, sondern auch bäuerliche Siedler und Kaufleute, die ein
umfangreiches, beinahe europaweites Fernhandelsnetz aufbauten. Die Gründe für
die Expansion der Wikinger über ihre skandinavische Heimat hinaus waren
komplex. Eine Rolle spielten sicherlich das Erwerbsstreben allgemein, die
Landknappheit in Skandinavien, der Wunsch nach Erschließung neuer Märkte sowie
die innere Schwäche des Frankenreiches nach dem Tod Karls des Großen, die
geradezu zur Landnahme herausforderte. Der erste genau datierbare Überfall
der Wikinger war 793 die Plünderung des Klosters Lindisfarne vor der Nordostküste
Englands. Seit dem frühen 9. Jahrhundert erschlossen sich vor allem
schwedische Wikinger – Kaufleute und Krieger –, die Waräger, entlang der
Wolga und des Dnjepr das russische Hinterland und waren wohl auch an der Gründung
des Großfürstentums Kiew beteiligt; über das Kaspische Meer und das Schwarze
Meer öffneten sie sich den Weg zu den exotischen Märkten des Fernen Ostens und
nach Konstantinopel. Hier stellten die Waräger die berühmte und gefürchtete
Palastwache des byzantinischen Kaisers. Dänische und norwegische Wikinger überfielen
im 9. Jahrhundert Städte im auseinander fallenden Karolingerreich, zunächst
nur im Küstenbereich, später auch Hafenplätze an den großen Flüssen im
Binnenland, z. B. Hamburg, Dorestad, Köln, Trier, Rouen, Paris, Nantes,
Bordeaux; selbst in den Mittelmeerraum, nach Pisa und Lucca, drangen die
Wikinger vor. Die Normannen, eine Gruppe der Wikinger, ließen sich als Vasallen
des französischen Königs in Nordfrankreich nieder und errichteten 911 das
Herzogtum Normandie. Unter König
Knut II. bestand im 11. Jahrhundert kurzzeitig ein skandinavisches
Nordseereich, das England, Dänemark und Norwegen umfasste. Bereits im 9. Jahrhundert
hatten die Wikinger Teile Nordenglands erobert, das so genannte Danelagh, und
sich hier als Bauern und Händler angesiedelt. Die Gründung u. a. von York
geht auf die Wikinger zurück. Außerdem eroberten sie die Shetland- und die
Orkney-Inseln, die Hebriden sowie einen Großteil Schottlands. In Irland gründeten
sie mit Dublin, Waterford, Wexford, Wicklow und Limerick die ersten Handelsplätze
des Landes. Im 9. und 10. Jahrhundert entdeckten und besiedelten die
Wikinger unbewohnte Inseln im Atlantik, zuerst die Färöer-Inseln, danach
Island und Grönland. Von Grönland aus erreichte der Wikinger Leif Eriksson um
die Jahrtausendwende die Ostküste Nordamerikas (Vinland), doch die
Kolonisationsversuche in der Neuen Welt 500 Jahre vor Kolumbus wurden bald
aufgegeben.Vor allem auf dem Meer, aber auch auf dem Landweg unternahmen
die skandinavischen Wikinger ihre Plünderungszüge, Entdeckungs- und
Handelsreisen, die sie bis nach Nordamerika, in den Mittelmeerraum, zum
Schwarzen und zum Kaspischen Meer führten.
2.
Schiffe der Wikinger
Die Schiffe der Wikinger zeichneten sich durch eine schlanke Bauweise und
hochgezogene, zum Teil mit geschnitzten Drachenköpfen (daher auch die
Bezeichnung „Drachenboote”) verzierte Vorder- und Achtersteven aus. Sie
wurden von Segeln und bis zu 80 Rudern angetrieben und waren auch hochseetüchtig.
3.
Wikingerkultur
, frühe Kultur Skandinaviens (etwa 800-1050 n. Chr.), als der Norden
Europas vom mächtigen Seefahrervolk der Wikinger beherrscht wurde. Ihre Überreste
finden sich in erster Linie in Norwegen, Schweden und Dänemark, aber auch in
Finnland, England und Nordfrankreich. Die
wichtigsten Fundorte für Artefakte der Wikingerzeit sind Grabkammern und Grabstätten.
Stammesfürsten wurden in großen Gräbern bestattet, als Beigaben fand man
reich verzierte Schwerter, Äxte, Schlitten, Zugkarren, Betten und anderes mehr.
In Norwegen zeigen Funde gut erhaltener Wikingergräber bei Oseberg am Oslofjord
und Gokstad, dass die Toten in hölzernen Booten beigesetzt wurden. Hauptmotive
der Kunst waren Tierdarstellungen – besonders Pferde, Schlangen, Schwäne und
Drachen –, mit denen man alle Grabbeigaben und die Schiffe selbst reich
verzierte. Die Schnitzereien sind kraftvoll und wirken dennoch zart, man erkennt
häufig lange, geschwungene Linien und miteinander verflochtene geometrische
Muster. Auch Gold- und Silberarbeiten, mit denen beispielsweise Schwertgriffe
verziert sind, weisen denselben filigranen Stil auf. Abgesehen von Grabbeigaben konzentrierte sich die
dekorative Kunst der Wikinger besonders auf Schmuck und Runensteine. Beim
Schmuck, in der Regel aus Silber, gelegentlich auch aus Gold, handelt es sich
meist um Medaillons, Anhänger, Nadeln und Spangen, die alle kunstvoll in Metall
gefasst und häufig filigran verziert waren. Geflochtene Halsketten aus
gezogenem Silberdraht bildeten die Prunkstücke der Metallverarbeitung.
Runen-Inschriften, bestehend aus magischen in Holz oder Stein eingeritzten
graphischen Zeichen, erinnerten an besondere Ereignisse, etwa die Heldentaten
tapferer Stammesfürsten. Dieses
mittelalterliche Holzrelief am Portal der Stabkirche von Borgund (Norwegen)
zeigt eine typische Schnitzarbeit der Wikinger. Dargestellt ist eine Szene aus
dem Mythos um Siegfried: Während sein Todfeind Gunther die Laute spielt, liegt
Siegfried sterbend in einer Schlangengrube.
4. Germanen
, Sammelbezeichnung für Stämme und Völker in Mitteleuropa und im südlichen
Skandinavien, die der indogermanischen Sprachfamilie angehörten, sich aber von
den benachbarten, ebenfalls indogermanischen Kelten, Slawen etc. durch Kultur,
Religion und Sprache unterschieden. Für die ersten Jahrhunderte n. Chr.
lassen sich verschiedene, nach ihren Siedlungsgebieten zu unterteilende Gruppen
von germanischen Stämmen festmachen: die Ostsee-Germanen in Südskandinavien;
die Weichsel-Germanen, zu denen u. a. die Burgunder und die Goten zu
rechnen sind; die Oder-Warthe-Germanen mit den Wandalen als Hauptstamm; die
Elbgermanen bzw. Elbsweben, zu denen u. a. Langobarden, Markomannen und
Quaden gehörten; die Nordsee-Germanen mit Friesen und Sachsen; und die
Rhein-Weser-Germanen mit u. a. Cheruskern und Chatten. Die bedeutenden Großstämme
wie Franken, Alemannen, Sachsen und Goten entstanden erst ab dem 3. Jahrhundert
n. Chr. durch den Zusammenschluss mehrerer Kleinstämme. Die Herausbildung der
germanischen Stämme war neueren Forschungsergebnissen zufolge ein äußerst
komplexer, im Einzelnen nicht mehr nachvollziehbarer Vorgang. Offensichtlich
gingen die germanischen Stämme im Raum zwischen Weichsel, Main und Niederrhein
aus verschiedenen eisenzeitlichen Bevölkerungsgruppen hervor. Die Kelten, deren
Siedlungsgebiet im Westen, Süden und Südosten an das der späteren Germanenstämme
angrenzte, beeinflussten ab etwa dem 3. Jahrhundert v. Chr. mit ihrer
materiell und sozial höher entwickelten Kultur regional mehr oder weniger stark
diese Bevölkerungsgruppen, die auf Grund dieses Einflusses zumindest den
Randzonen der keltischen La-Tène-Kultur zuzurechnen sind. Sprachlich jedoch
haben sich diese später als Germanen bezeichneten Stämme von den Kelten
abgeschlossen. Durch einen allmählichen sprachlichen und kulturellen
Nivellierungsprozess untereinander, der u. a. durch ihre hohe Mobilität
begünstigt wurde, bildeten diese Stämme eine ethnische Großgruppe heraus,
deren einzelne Ethnien durch gemeinsame, ihre Unterordnung unter den
Sammelbegriff Germanen rechtfertigende Merkmale verbunden waren.Der erste
bedeutende Vorstoß germanischer Stämme gegen das Römische Reich fand Ende des
2. Jahrhunderts v. Chr. statt, als Kimbern und Teutonen nach Süden
und Südwesten vordrangen, etwa 113 v. Chr. ins Römische Reich eindrangen
und in Gallien einfielen. 102/101 v. Chr. wurden sie von den Römern
geschlagen. Um 70 v. Chr. wanderten einige swebische Stämme unter Ariovist
von der Elbe an den Oberrhein und ließen sich diesseits und jenseits des Rheins
nieder; 58 v. Chr. wurden sie von Julius Caesar in der Gegend des heutigen
Mülhausen geschlagen und nach Osten über den Rhein zurückgedrängt.In der
Folge stießen verschiedene germanische Stämme wiederholt über den Rhein vor,
wurden jedoch immer wieder zurückgeschlagen. 16 v. Chr. aber fügten sie
den Römern eine vernichtende Niederlage zu; daraufhin leitete Kaiser Augustus
einen Eroberungskrieg gegen die Germanen östlich des Rheins ein mit dem Ziel,
das ganze Gebiet bis zu Elbe und March für das Römische Reich zu gewinnen, was
den römischen Feldherrn Drusus Germanicus und Tiberius auch nahezu gelang; aber
nach ihrer vernichtenden Niederlage gegen den Cherusker Arminius 9 n. Chr.
gaben die Römer ihr Ziel, die Grenze ihres Reiches bis an die Elbe
vorzuschieben, auf und zogen sich aus dem Gebiet östlich des Rheins zurück. Die
besetzten germanischen Gebiete wurden ab etwa der Mitte des 1. Jahrhunderts
n. Chr. relativ rasch romanisiert, und zwar durch die Einrichtung der
Provinzen Germania superior (Obergermanien, ein Streifen links von Ober-
und Mittelrhein sowie das Dekumatland) und Germania inferior
(Untergermanien, links des Niederrheins), durch die Anlage von römischen Bürgerkolonien
und Kastellen wie Colonia Agrippinensis (das heutige Köln) und Castra
Regina (Regensburg), durch römisch-germanischen Handelsverkehr und durch
die Einbeziehung von Germanen in den römischen Militärdienst; Germanen wie z. B.
Stilicho konnten im römischen Heer schließlich sogar in höchste Positionen
aufsteigen. Zur Sicherung der Grenze gegenüber dem „freien Germanien” (Germania
libera oder Germania magna) wurden der niedergermanische, der
obergermanische und der rätische Limes errichtet.Um die Mitte des 2. Jahrhunderts
nahm infolge von Wanderungsbewegungen innerhalb des freien Germaniens der Druck
der Germanen auf die römischen Grenzen zu. Langobarden, Markomannen und Quaden
fielen ins Römische Reich ein und lösten damit die langwierigen
Markomannenkriege Kaiser Mark Aurels aus. In der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts
stießen die Alemannen über den Limes vor, und die Franken fielen vom
Niederrhein aus immer wieder in Gallien ein. Mitte des 4. Jahrhunderts
konnten die Römer ihre Grenze am Rhein nur mehr mühsam gegen die vordringenden
Alemannen und die Franken verteidigen. Im zweiten Drittel des 3. Jahrhunderts
erschienen die Goten an der unteren Donau, stießen wiederholt ins Römische
Reich vor und ließen sich u. a. in Dakien nieder.Der Vorstoß der Hunnen
nach Südrussland und die Zerschlagung des Ostgotenreiches 375 verursachte unter
den germanischen Stämmen umwälzende Wanderungsbewegungen, die so genannte
germanische Völkerwanderung, die zum Untergang des Weströmischen Reiches und
zur Herausbildung neuer, germanischer Reiche in Europa führte. Die germanische
Völkerwanderung veränderte das politische Gefüge des spätantiken Europa, vor
allem des Römischen Reiches, tief greifend und prägte die politische und
kulturelle Struktur des frühmittelalterlichen Europa.Ein großer Teil unseres
Wissens über die Germanen stammt aus historischen Berichten von zwei römischen
Schriftstellern: aus Caesars Commentarii de Bello Gallico (51 v. Chr.,
Aufzeichnungen über den Gallischen Krieg) und Cornelius Tacitus’ De
origine et situ Germanorum (98 n. Chr., Über Ursprung und Wohnsitz
der Germanen). Ein Vergleich der beiden Geschichtswerke erlaubt Schlüsse über
die Entwicklung der germanischen Stämme in der dazwischen liegenden Zeit: Zu
Caesars Zeiten war Grundbesitz nicht gleichbedeutend mit Privateigentum.
Vielmehr wurden die Felder jährlich unter den Sippen aufgeteilt. Zur Zeit des
Tacitus wurde das verfügbare Land dann jedes Jahr an Einzelpersonen je nach
ihrem sozialen Status innerhalb des Stammes verteilt. Die soziale Grundeinheit
war die Sippe, die nächst größere Einheit der Gau, die größte war der
Stamm. Zu Caesars Zeiten hatten manche Gaue nur in Kriegszeiten einen Anführer;
zur Zeit des Tacitus wählten einige Gaue auch schon für die Friedenszeiten ein
Oberhaupt. Die Macht dieser Oberhäupter war nicht unumschränkt, sondern durch
einen Rat der Adligen und eine Versammlung der Krieger eingeschränkt. Laut
Tacitus setzte sich die germanische Gesellschaft aus Freien, Halbfreien und
Sklaven zusammen. Die Freien stellten die Krieger, die in Gefolgschaften durch
gegenseitigen Eid zusammengeschlossen waren und unter der Führung eines Fürsten
standen; auf der Grundlage dieser Führungsrolle entwickelte sich eine von den
Freien abgesonderte Adelsschicht, aus der wiederum das germanische Königtum
entstand.